Am Dienstag vereinbarten die Regierungen der Europäischen Union, bis Ende des Jahres 15 Prozent ihres Gasverbrauchs einsparen zu wollen. Freiwillig, aber wer es nicht tut, kann gezwungen werden. 

Darüber hinaus sollen Länder, die verantwortungsvolle Politik betreiben und rechtzeitig genügend Gasvorräte angelegt haben, gezwungen werden können, anderen zu helfen, die weniger verantwortungsbewusst handelten – vor allem betrifft das Deutschland, dessen Gasvörräte gegenwärtig bei kargen 16 Prozent des Jahresbededarfs liegen. 

Ungarn, das keine Versorgungsprobleme und genügend Vorräte hat (aktuell 29 Prozent des Jahresverbrauchs), war als einziges Land dagegen.

Das heisst nicht, dass die Regierung in Budapest nicht vom Gas loskommen will. Es war sogar ein Schwerpunkt der jüngsten Rede von Regierungschef Viktor Orbán am vergangenen Wochenende in siebenbürgischen Tusványos: Das größte Problem des Westens sei derzeit, dass er zwar Kapital und militärische Stärke besitze, aber nicht die entscheidenden Rohstoffe unserer Zeit: Energie und sogenannte seltene Erden, die für die Herstellung von Chips, Computern und Mobiltelefonen nötig sind. Er betonte, dass vor allem Gas das Problem sei. Davon müsse man loskommen, denn Strom könne man selbst erzeugen, mit Atom- und erneuerbarer Energie.

In den Medien war nichts davon zu lesen, weil die Journalisten hypnotisiert waren von einem Satz, den Orbán bewusst in seine Rede eingebaut hatte, um sie zu hypnotisieren: Die Gesellschaften Westeuropas seien bereits „gemischtrassig”, anders als jene in Mitteleuropa. Das brachte ihm im Westen wenig Sympathie, aber weltweit viel Aufmerksamkeit ein – seine Zauberformel für politischen Erfolg daheim. 

Auch die Entscheidung der ungarischen Regierung, ihre Subventionen für den Energieverbrauch von Privathaushalten zu reduzieren, zeigt deutlich, dass Ungarn seinen Gasverbrauch reduzieren will. Strompreise für Haushalte steigen ab dem 1. August um das Doppelte, jenseits einer relativ niedrigen Höchstgrenze für subventionierten Strom. Wer mehr verbraucht, zahlt also doppelt.

Wer aber überdurchschnittlich viel Gas verbraucht, soll ab 1. August gar das Siebenfache des bisherigen, subventionierten Preises zahlen. Das zeigt, dass Ungarn seinen Gasverbrauch stark reduzieren will. Ohne Verbote, nur über den Preis. 

So weit, so klar. Der neue Gas-Plan der EU ist in der verabschiedeten Form auch kein Problem, es gibt viele Ausnahmen – darunter auch für Länder, die überdurchschnittlich viel Gas speichern. Wie Ungarn. Das wird als eine Form europäische Solidarität gewertet. Wenn es Ungarn nun auch noch gelingt, wie geplant 700 Milliarden Kubikmeter russisches Gas zusätzlich zu kaufen, kann es dieses Gas am Ende zu wahrscheinlich bis dahin deutlich höheren Marktpreisen den energiepolitisch so unvorsichtigen Deutschen weiterverkaufen. 

Einen Zwangsmechanismus – ob nun um zu sparen, oder Gas „solidarisch” zu verteilen kann der Rat der Regierungschefs auslösen, mit qualifizierter Mehrheit, auf Vorschlag der Kommission. 

Aber nicht die verabschiedete, endgültige Fassung des EU-Plans ist bemerkenswert, sondern der erste, ursprüngliche  Vorschlag, mit dem die Kommission in die Verhandlungen ging. 

Dieser Plan sah vor, dass die Kommission einfach selbst, nach eigenem Gutdünken einen Gas-Notfall aurufen könnte, der dann die Mitgliedsländer einer kollektiven Gas-Zwangsbewirtschaftung unterworfen hätte. Ein sehr potentes Machtinstrument für die Brüsseler Machtzentrale. 

Alternativ sah der Ursprungsplan auch vor, dass „zwei Länder” – später „drei” – den Gasalarm beantragen könnten. Im Klartext: Deutschland und Frankreich.

Sich so forsch so viel Macht zuschanzen zu wollen ist bemerkenswert. Und ein wenig erschreckend: Wollen wir wirklich von einer Kommission mit so deutlichen politischen Machtinstinkten geführt werden? Sollte sie nicht vielmehr Interessen-Vermittler sein und beim unbedingt erforderlichen Mindestmaß kollektiver Bevormundung ansetzen, statt gleich beim Maximum? 

Vielleicht ist das ein Gedanke, der bei etwaigen Diskussionen um eine Reform der EU zu berücksichtigen wäre.

Es ist auch der Grund, warum Ungarn dagegen war: Es gebe für das neue Zwangsmittel keine klare Rechtsgrundlage in den europäischen Verträgen. Da stimmt wahrscheinlich nicht ganz. Der Vertrag zur Arbeitsweise der Europäischen Union, Art. 194, besagt, die Energiepolitik der Union erfolge im „Geiste der Solidarität”. Daraus lässt sich notfalls juristisch alles mögliche konstruieren. 

Aber wenn man es mit einer so offensiven Bürokratie zu tun hat, die sich so unerschrocken so umfassende zusätzliche Kompetenzen geben will, schadet es nicht, die Rechtslage erstmal so restriktiv wie möglich zu interpretieren.