Ich möchte mich bei Ihnen und bei allen, die in den letzten 31 Jahren an diesen Stadtparteitagen teilgenommen und mich mit so vielen Vertrauensvoten ausgestattet haben, bedanken, ebenso für die uneigennützige Unterstützung meiner Arbeit und die großartige Unterstützung in insgesamt acht Wahlkämpfen, die alle zu unseren Gunsten entschieden werden konnten.
Heute muss ich mich bei Ihnen jedoch dafür entschuldigen, dass ich, jedenfalls nach meinen Maßstäben, mich Ihres Vertrauens nur selten würdig erwiesen habe.
Als wir unsere ersten Schritte in die Demokratie unternahmen, 1990, hatten wir als CDU eine öffentliche Zustimmung von über 50 % und konnten dieses Niveau lange halten – auf Bundes-, Landes- und Stadtebene. Heute haben wir mehr als die Hälfte, in manchen Regionen zwei Drittel unserer Wähler verloren. An Zweitstimmen sind wir in einem Dresdner Wahlkreis auf Platz 3, im anderen auf Platz 4 gelandet.
Was ist angesichts dieser Lage zu tun? Landauf, landab hört man die gleichen Zauberformeln: Die CDU müsse halt jünger und weiblicher werden.
Ich sage: Die CDU kann jünger und weiblicher werden, wie sie will – wenn sie die für unsere Demokratie zum Teil existenzgefährdenden Gefahren weiter ignoriert, wenn sie keine Antworten gibt, wie diese Probleme zu lösen sind, ist unsere Partei am Ende. Welche Gefahren sind das? Auf jede einzelne von ihnen habe ich vor dem Bundesvorstand meiner Partei und vor unserer Fraktion im Deutschen Bundestag immer wieder hingewiesen und für ihre Abwendung in der Presse geschrieben:
1. Die EU zerstört ihre Autorität und erodiert weiter
Mit dem Brexit ist fast 20 % der EU-Wirtschaftsleistung weg. Die höhnische Überheblichkeit, mit der wir frohlockend auf ein wirtschaftliches Desaster im Vereinigten Königreich hoffen, ist unwürdig. Wir sollten lieber fragen, welchen Beitrag wir dafür geleistet haben, dass die Briten allen wirtschaftlichen Unwägbarkeiten zum Trotz sich von der EU getrennt haben.
Jetzt haben wir in den EU-Institutionen eine griechisch-lateineuropäische Mehrheit. Die früheren Stabilitätsvorstellungen der Nordeuropäer sind nicht mehr durchsetzbar. Die neue Mehrheit kann sich ungehindert verschulden. Der Gegenwert für uns werden wertlose Forderungen an Schuldnerländer sein. Die Nonchalance, mit der wir über die drastischen Unterschiede der Vermögensmediane zwischen Deutschland und unseren griechisch-lateineuropäischen Partnern hinwegsehen, wird langfristig einen dramatischen Vertrauensverlust in unsere politische Klasse verursachen. Die Arroganz, mit der wir Polen und Ungarn unsere Maßstäbe von Demokratie – denen wir selber kaum genügen (dazu komme ich noch) – aufzwingen wollen, wird langfristig zu deren Abwendung von der EU führen, sobald dies wirtschaftlich verkraftbar erscheint.
2. Die Politik der europäischen Zentralbank führt zur Geldentwertung in ganz Europa
Die ungeheuren Geldsummen, mit denen die EZB den Euroraum flutet, werden zu einer dramatischen Geldentwertung führen, was sich jetzt allmählich beginnt, in immer höheren Preisen niederzuschlagen. Zwar glaube ich nicht, dass man in fünf Jahren – wie im Jahr 1923 – für ein durchschnittliches in einem Arbeitsleben akkumuliertes Bankguthaben gerade noch eine Schachtel Streichhölzer bekommt. Aber auch die Entwertung auf ein Viertel des bisherigen Wertes der Barvermögen ist genug für einen demokratiegefährdenden Vertrauensverlust in die politische Klasse.
3. Die deutsche Außenpolitik und Bundeswehr werden international bedeutungslos
Die Bundeswehr ist unter der Ägide des Ministers zu Guttenberg ihres Rückgrats – der allgemeinen Wehrpflicht – beraubt worden und unter der Ägide der Ministerinnen von der Leyen und Kramp-Karrenbauer zu einer Art Unterabteilung eines unsichtbaren Gleichstellungsministeriums degeneriert.
Sie ist technisch veraltet und verschlissen, personell kopflastig (immer mehr Generäle und Offiziere, immer weniger Soldaten) und allmählich bedeutungslos und abschaffungsreif. Ihre Prognosen taugen nichts, wie sich das in Afghanistan auf dramatische Weise gezeigt hat. Ein Kriegsfall in Europa scheint uns zwar nicht zu drohen (gäbe es ihn, dann wäre das Land mit den jungen Leuten von heute, zum Beispiel den Bewohnern unserer großstädtischen Kieze und unseren grün- und linksbewegten Studenten, die dieses Land meist sowieso nur hassen, nicht zu verteidigen und lediglich zur kampflosen Unterwerfung fähig).
Aber unsere Nachbarn (die Polen und die Balten) könnten angegriffen werden. In diesem Fall würden hunderttausende Demonstranten vor dem Reichstagsgebäude dafür sorgen, dass Deutschland seinen Nato-Verpflichtungen nicht nachkommt und diese Länder genauso verrät, wie dies die Briten und die Franzosen im zweiten Weltkrieg getan haben. Die Folge der militärischen Bedeutungslosigkeit Deutschlands und seiner Unfähigkeit, überhaupt eigene Interessen zu definieren und zu verfolgen, ist die außenpolitische Bedeutungslosigkeit und ein Anreiz für einen potenziellen Aggressor, diese Schwäche zu nutzen, solange sie existiert.
Aber ein Land – das zeigt die Vergangenheit – das sich danach sehnt, von der Landkarte zu verschwinden und sich von anderen Mächten dominieren zu lassen, dem tut die Geschichte gewöhnlich diesen Gefallen.
4. Die deutsche Energiepolitik scheitert und Deutschland wird als Wirtschaftsstandort dauerhaft beschädigt
Vor ihrer Regierungsübernahme und noch im Wahlkampf 2005 beschrieb Merkel den Gedanken eines gleichzeitigen Kohle- und Kernkraftausstieges als Absurdität. Genau diese Absurdität verwirklichte sie in ihrer zweiten, dritten und vierten Amtsperiode.
Aber die Vorstellung, dass sogenannte “erneuerbare Energien“ (schon dieser Begriff ist physikalisch unsinnig) als Stromemittenten die regelbaren Emittenten aus fossiler und Kern-Primärenergie ersetzen könnten, ist eine gigantische intellektuelle Fehlleistung. Sie wird in eine desaströse Preisexplosion und Verfügbarkeitsfalle führen, die wir – sofern wir uns einer Rückkehr zur Kernenergie verweigern – mit einem Wohlstandsverlust und einem Rückfall in der Rangliste der Wirtschaftsnationen bezahlen werden. Den wieder aufzuholen wird eine Generationenaufgabe sein.
5. Die Infrastrukturpolitik in Deutschland führt zu Stagnation und infrastrukturellem Zerfall
Keiner auf der Welt will glauben, dass in Deutschland der Bau einer Autobahn über 30 Jahre dauert. Dass ein Bahnhof ein halbes Menschenalter geplant und der Bau dann mit einem Volksentscheid erzwungen und mit Wasserwerfern durchgesetzt werden muss. Erst die 14-jährige Bauzeit des Berliner Flughafens und die Verschiebung der geplanten Eröffnung – nachdem schon die Einladungen gedruckt waren – um 9 Jahre zeigten der ganzen Welt den Zustand Deutschlands, das unter einer Zusammenwirkung von überzogenen Standards, überbordenden Einspruchsrechten völlig Außenstehender und einer ans Groteske grenzenden administrativen Inkompetenz von einer respektierten Wirtschaftsmacht zu einer Spottfigur und zum Weltmeister in der Kunst der Selbstfesselung geworden ist.
Die Stagnation beim Neubau von Infrastruktur wird noch ergänzt durch einen ständig gefährlicher werdenden Stau im Bereich der Instandhaltung und Sanierung.
6. Die Zerstörung der Familie führt tiefer in die demografische Krise und die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft wird dauerhaft beeinträchtigt
Ich ziehe heute den Hut vor jedem jungen Paar, dass es auf sich nimmt, eine herkömmliche Familie zu gründen. Das Gesellschaftsklima ist nachwuchsfeindlich wie noch nie in der Geschichte dieses Landes. Der ausschließliche mediale Fokus liegt auf der Propagierung einer Sexualität, die Nachwuchs als lästig empfindet. Die Familie steht unter ständigem Generalverdacht, ein Nest der Kriminalität gegen Frauen und Kinder zu sein.
Um den Wunsch auf eigenen Nachwuchs nach Möglichkeit aus den Köpfen zu treiben, wird das Feindbild des biologischen Geschlechts installiert. Nach dem Willen der Grünen sollen Kinder sich – beraten von Psychologen – durch von der Krankenkasse bezahlte Geschlechtsumwandlungen verstümmeln lassen können, ohne dass die Eltern darauf Einfluss nehmen können.
Dies wird zu einer immer geringeren Anzahl von Kindern in unserer Gesellschaft führen – und gemeinsam mit dem folgenden Punkt zu einer langfristigen Beschädigung des Kerns unserer Leistungsfähigkeit. Länder, die das herkömmliche Familienmodell fördern, werden stigmatisiert und dämonisiert, wie z.B. Ungarn. Die eigene Bevölkerung wird mit neuen Gesslerhüten dressiert, die zu grüßen sind: Wie früher zu Staatsfeiertagen das Pionierhalstuch und das FDJ-Hemd zu tragen waren, gilt heute als Beweis, ein vollwertiger Bürger zu sein, die Gendersprache zu verwenden.
7. Die Bildungspolitik hindert die Menschen an der Entfaltung ihrer Fähigkeit und bedroht die mittelständische Wirtschaft
Mit den wenigen Kindern, die in Deutschland unter diesen Bedingungen überhaupt das Licht der Welt erblicken, gehen wir auch noch miserabel um. Die Bildungspolitik in Deutschland hat dazu geführt, dass unter den Schulabgängern eines Jahrganges jetzt fast oder teilweise schon über 50 % Abiturienten sind – während es früher unter 20 % waren.
Allerdings ist der Median des IQ in der Bevölkerung seit Jahrzehnten unverändert – wenn nicht leicht rückläufig. Das heißt: Die Abiturqualität sinkt. Die Studienberechtigung bedeutet nicht notwendig Studienbefähigung. Es müssen nun Studienfächer mit geringeren Anforderungen gefunden werden, um die Heerscharen von Studenten mit akademischen Perspektiven auszustatten, die über geringere Voraussetzungen verfügen als die Abiturienten vor 30 Jahren.
Diese Fächer – Genderforschung zum Beispiel – braucht kein Mensch. Zugleich werden diese Kinder und Jugendlichen daran gehindert, Fähigkeiten, die sie durchaus hätten, zu entfalten und aus Ihrem Leben das optimal diesen Fähigkeiten Entsprechende zu machen. Das ist für die Betroffenen selbst nicht befriedigend.
Noch schlimmer ist es aber für die arbeitsteilige Gesellschaft: Die in diesen Disziplinen lebenslang für den Papierkorb Arbeitenden gehen der Wirtschaft als tüchtige Facharbeiter, Handwerker, Dienstleister und Pflegekräfte verloren; mit der Konsequenz, dass die Nachwuchsknappheit in diesen Bereichen zu Problemlagen führen wird, wie wir sie infolge des Versagens der Planwirtschaft aus der DDR kennen. Mit den bekannten Folgen für die DDR.
8. Die Forschungspolitik hat in Deutschland ihre Technologieoffenheit weitgehend aufgegeben
Erforscht wird, was die herrschende Ideologie verlangt. Wenn man auf eine von der Mehrheit der Wissenschaftler geteilten Hypothese gestützt, (die allerdings nur auf Prognoserechnungen beruht, welche die ohne Einwirkung von CO2- Konzentrationsschwankungen entstandenen damaligen Klimaveränderungen nicht abbilden), eine derart tiefgreifende Zäsur wie die Dekarbonisierung der gesamten Wirtschaft in Gang setzen will, dann muss die Politik die Falsifikationsversuche der herrschenden Hypothesen besonders fördern. Schon weil jeder fehlschlagende Widerlegungsversuch die herrschende Hypothese festigt und eine einzige gelungene Widerlegung Anlass ist, einen falschen Weg frühzeitig zu verlassen.
Allerdings investiert die Forschung in Deutschland lieber in die 10.000ste Bestätigung der gängigen Klimahypothesen und bekämpft alle zu dieser Hypothese kritischen Forschungsansätze. Aber nicht nur das. Gleichzeitig verbietet die Politik in Deutschland faktisch die anwendungsorientierte Kernforschung. Und der Erfolg der Firma BioNTech beruht auf dem Mut der dortigen Forscher, die grüne Ächtung der roten Gentechnik zu ignorieren.
Die Selbstfesselung der deutschen Forschungspolitik wird jedoch mittelfristig zum Ausscheiden Deutschlands aus der Entwicklung von Schlüsseltechnologien führen – wie das im Bereich der Kernforschung schon geschehen ist und sich aufgrund ideologischer Einwirkungen noch in vielen anderen Sparten – der Chemie, der Physik, der Medizin und weiterer – fortsetzen wird.
9. Die Landwirtschaftspolitik lähmt die Bauern, demütigt und demoralisiert sie und bedroht damit die Ernährungsgrundlage des Landes
Ein immer komplizierter und unentwirrbarer werdendes Dickicht von bürokratischer Gängelung, angeblich ökologisch notwendige Zusatzleistungen bei gleichzeitiger Reduzierung ihrer technologischen Möglichkeiten – dass die Bauern sich das nicht mehr allzu lange bieten lassen werden, hat sich bei den großen Traktorendemos in Berlin oder Dresden gezeigt.
Hart arbeitende Bauern sind es auch leid, als die ökologischen Drecksäcke und Tierquäler der Nation in die Ecke gestellt zu werden von denen, die sie ernähren.
10. Die Einwanderungspolitik und Asylpolitik werden miteinander vermischt, die Gesellschaft polarisiert
Vor ihrer Regierungsübernahme ging Merkel davon aus, dass man den inneren Frieden in Deutschland nicht durch eine ungebremste Zuwanderung gefährden dürfe. Ich halte das Asylrecht in Deutschland für eine unserer humanitären, historischen und zivilisatorischen Kernverpflichtungen. Wer politisch verfolgt wird, muss auch weiter bei uns Schutz finden, solange ihm die Bedingungen in seinem Herkunftsland keine Rückkehr erlauben.
Allerdings ist es nicht zuletzt zum Schutz dieses Asylrechtes erforderlich, streng zwischen Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen einerseits und dem Anspruch auf Asyl andererseits zu unterscheiden. Über ersteres muss das Land, das Zuwanderung benötigt oder nicht benötigt, frei entscheiden können, ebenso wie der Hausherr entscheidet, ob er einen Klempner kommen lassen will, und nicht der Klempner.
Die gesamte Fehlleistung in der Zuwanderungspolitik besteht darin, dass keine Partei – auch nicht die unsere – mit der erforderlichen Deutlichkeit dieser Unterscheidung zwischen Zuwanderung und Asyl Nachdruck verschaffte, sondern gar noch einen Migrationspakt ratifizierte, der genau die Souveränität des Zuwanderungsziellandes über die Definition seiner Zuwanderungsbedingungen untergräbt.
11. Die Entwicklungszusammenarbeit ist ein Motor der Fluchtbewegungen
Die deutsche Entwicklungspolitik ist längst zu einem Industriezweig zur Existenzsicherung einer immer unübersehbarer werdenden Zahl von Entwicklungshilfeorganisationen geworden ist, über deren Operationen keinerlei Kontrolle existiert und die unkoordiniert aneinander vorbeioperieren. Abgesehen davon führt unsere Entwicklungszusammenarbeit dazu, dass die enormen Geldmittel sich, statt dem Aufholen von Entwicklungsnachteilen in den Empfängerländern zu dienen, entweder in den Budgets von Regierungen sammeln, die nicht selten die Entwicklungsnachteile ihrer Ländern verschuldet haben und fortschreiben oder aber angespart werden, um die stärksten und leistungsfähigsten der jungen Leute dieser Länder mit Reisegeld nach Europa auszustatten, so dass sie von den hier erzielten Einkünften ihre Familien im Herkunftsland unterstützen können.
Dieses Geschäftsmodell verstärkt jedoch die Ursachen von wirtschaftlich bedingten Fluchtbewegungen, weil es den Braindrain aus diesen Ländern forciert und den dortigen Gesellschaften die einzige Perspektive nimmt, die sie haben, nämlich die Arbeits- und Gestaltungskraft der Leistungsträger.
12. Die Überforderung der Solidarsysteme führt zu ihrer Zerstörung oder zur Zerstörung der öffentlichen Haushalte
Jedes Jahr erhöht sich in Deutschland prozentual die Anzahl der Anspruchsberechtigten aus den Solidarsystemen. Gleichzeitig verringert sich die Anzahl der Einzahler in dieselben. Allein der jährliche Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zur Rentenkasse hat die 100-Mrd.-Marke überschritten. Hinzu kommen Sozialausgaben infolge der Zuwanderung und neuerdings auch – um die real erhebungsbedürftigen Kosten für die EEG-Umlage zu verschleiern – Haushaltsmittel als Zuschüsse zu den Energiekosten.
Keiner dieser zwölf Punkte hat im Wahlkampf 2021 irgendeine wahrnehmbare, seiner Bedeutung angemessene Rolle gespielt. Stattdessen hatte man den Eindruck, dass alle Ministerien lediglich nur noch Unterabteilungen der Energiepolitik, der Frauenpolitik und des Kampfes gegen rechts sind. All dies ging einher mit einer immer infantiler werdenden Argumentationskultur, in der der von der Bundeskanzlerin selbst gelobte und geförderte Rechtsbruch – nämlich der Verstoß gegen die Schulpflicht durch Fridays For Futureeine hervorgehobene Rolle spielte.
Liebe Freundinnen und Freunde,
rechts neben uns existiert eine rechte Partei, die uns bei den Zweitstimmen in ganz Sachsen um Längen geschlagen hat. Diese Partei hat Positionen aufgesammelt, die einmal die unseren waren: ja zur Kernkraft, nein zu unbegrenzter Zuwanderung, ja zur Stabilitätspolitik.
Wir unterstellen ihr, die Demokratie abschaffen zu wollen. Ob das auf die Dauer die Wähler überzeugt, weiß ich nicht. Ich fürchte, immer mehr Leute werden uns einen Spiegel vorhalten, in dem man unser eigenes Verhältnis zur Demokratie sieht:
- eine Kanzlerin, die demokratische Landtagsentscheidungen mal kurz rückgängig machen lässt;
- ein Bundesverfassungsgericht, das ein demokratisches Landtagsvotum zu Rundfunkbeiträgen annulliert;
- eine Wahlleitung in Berlin, die Bürgern die Stimmabgabe verwehrt, Stimmen nicht wahlberechtigter Minderjähriger mitzählt und Endergebnisse schätzen lässt;
- einen Bundestag, der mal kurz die Geschäftsordnung ändern lässt, damit ihn nicht der falsche Alterspräsident eröffnet (als die Linkspartei, eine erwiesen antidemokratische Partei, die 28 Jahre lang 17 Millionen Menschen ihrer Freiheit beraubt und sie als Geiseln gehalten hat, den Alterspräsidenten – damals Stefan Heym – stellte, gab es dergleichen Bedenken nicht).
Und man sieht eine politische und journalistische Klasse, die mit einer im 21. Jahrhundert nicht mehr für möglich gehaltenen Aggressivität über das demokratische Polen und das demokratische Ungarn herfällt – einer Aggressivität, derer sie sich niemals befleißigt hat, als die Demokratie, die Gewaltenteilung und die Menschenrechte in diesen Ländern noch suspendiert und die Gefängnisse voll von politischen Gefangenen waren.
Damals machte man Shakehands mit den Diktatoren Gierek und Kadar. Kritik an ihnen war verpönt. Heute gewinnt man den Eindruck, ein neuer Einmarsch in Polen stünde bevor.
Mit meinem Verständnis von Demokratie und Gleichberechtigung sind diese Sachverhalte nicht vereinbar. Ich habe mich über die Jahre in jedem dieser Fälle nach Kräften gegen den Kurs gewehrt, den unsere Partei schließlich eingeschlagen hat, aber nicht genug und ohne Erfolg.
Für diesen Mangel an Engagement und diese Erfolglosigkeit bitte ich Sie alle um Entschuldigung. Ich wünsche meinem Nachfolger ein besseres Rückgrat als ich es hatte.
Ich fürchte nur, die Erkenntnis wird uns nicht erspart werden, dass dieses Land weder eine zweite grüne noch eine zweite sozialdemokratische noch eine zweite linke, noch eine zweite rechte Partei braucht; und dass die Mitte, die zu sein wir für uns reklamieren, erst dann die wirkliche Mitte ist, wenn sie den Radius null hat.
Dresden 29.10.2021