Eine solche, sehr absehbare Tatsache war der Erfolg der AfD. Schon vor fünf Jahren war klar: Irgendwann wird die AfD einen Bürgermeister und einen Landrat stellen. Es war nur eine Frage der Zeit. Und dieser Bürgermeister oder Landrat wird aus einem ostdeutschen Bundesland kommen. Und weil das so absehbar war, kann man die Geschichte auch fortschreiben: Irgendwann wird sich eine CDU-Regierung von der AfD tolerieren lassen. Zunächst natürlich ebenfalls nur in einem Kreistag oder in einem Stadtparlament und nach einer Schamfrist in einem der ostdeutschen Landesparlamente. Jeder weiß, dass es so kommen wird. Doch keiner redet darüber. Und genau deshalb wird ganz sicher so kommen.
Seit zehn Jahren hat sich die CDU in der Lüge eingerichtet, sie könne die AfD ignorieren, in die Bedeutungslosigkeit drücken oder abkanzeln. Das Ergebnis dieses Wunschdenkens ist für die CDU verhängnisvoll. Auf absehbare Zeit hat sie sich ausschließlich auf Bündnisse mit Parteien festgelegt, die links von ihr stehen. Das muss programmatisch auszehren und verliert politisch an Profil.
Um die Entwicklung der AfD zu verstehen, muss man kurz auf die Geschichte dieser Partei eingehen. Gegründet wurde sie vor genau zehn Jahren. Ihr erster Vorsitzende war der Journalist Konrad Adam. Eine wichtige Rolle spiele zudem der der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke. Hauptthema der jungen Partei war die Krise des Euro in Folge der Finanzkrise 2008.
Neben dem Euro wurde insbesondere die Einwanderung zu einem Kernthema der AfD, insbesondere im Zuge der Flüchtlingskrise 2015. Kritiker sehen hierin den Beginn eines Wandels zu nationalistischen und völkischen Positionen. Klar ist, dass die Partei entlang der alten innerdeutschen Grenze gespalten ist. Im alten West-Deutschland dominieren klassische Konservative und Wirtschaftsliberale die Gremien, in den östlichen Bundesländern stärker Menschen mit nationalen und etatistischen Überzeugungen.
Statistisch gesehen ist der klassische Wähler der AfD der kleine Angestellte aus einer ländlichen oder kleinstädtischen Region, männlich und im Alter zwischen 40 und 55. Vielleicht gibt es auch gutverdienende Frauen aus der Großstadt, die AfD wählen, das dürfte jedoch die Ausnahme sein, obwohl genau eine solche Frau, Alice Weidel, seit vier Jahren Bundessprecherin (Parteivorsitzende) der AfD ist.
Die Wählerklientel der Partei speist sich, wenig überraschend, vor allem aus der Wählerschaft der CDU, im Westen Deutschland auch der FDP, im Osten der Linken. Insbesondere in ehemaligen, vom Strukturwandel betroffenen Industrieregionen wie dem Ruhrgebiet punktet die AfD aber auch bei ehemaligen SPD-Wählern.
Lange Zeit hat man die Wähler der AfD als Protestwähler abgetan. Das galt der Beruhigung, aber auch der Verächtlichmachung. Inzwischen dürfte klar sein, dass viele Wähler die AfD aus Überzeugung wählen, nicht „nur“ aus Protest. Dabei hilft der Partei, dass seitens der politischen Linken eine Art Kulturkampf vom Zaun gebrochen wurde, dessen sichtbarstes Zeichen vielleicht das Gendern der Sprache ist (Leser*innen statt Leser), aber auch Bereiche wie Ernährung (Fleischverzicht) oder Autofahren (Verbot von Verbrenner-Motoren) umfasst. Der dadurch entstandene Riss ist mit der Gegenüberstellung von „normalen Bürgern“ und „Elite“ zu vereinfacht beschrieben. Im Grunde geht der Riss durch die deutsche Mittelschicht.
Weil das so ist und weil, wie Umfragen zeigen, mindestens ein Drittel der Wähler mit AfD-Position sympathisiert, wird sich die Partei weiter fest im politischen Leben Deutschlands etablieren. Auch wenn man ihr weiter ein Vizepräsidentenamt im Bundestag oder Gelder für ihre politische Stiftung verweigert, wird sich die AfD nicht dauerhaft aus dem System ausschließen lassen.
Vieles spricht hingegen dafür, dass die AfD eine ähnliche Entwicklung wie die Grünen nehmen wird. Auch mit den Grünen wollte Anfang der 1980er Jahre niemand zusammenarbeiten, geschweige denn koalieren. Ausgerechnet der damalige Ministerpräsident von Hessen, Holger Börner, der jeder Zusammenarbeit mit dem Umweltpartei kategorische ausgeschlossen hatte, ließ sich 1984 von ihr tolerieren und ging 1985 mit ihr eine Koalition ein.
Das Ergebnis war langfristig, dass der radikale Flügel der Grünen (die „Fundis“) gegenüber den Pragmatikern (den „Realos“) an Einfluss verlor und die Grünen so für die Bürger aus der Mitte der Gesellschaft wählbar wurden. Eine ähnliche Entwicklung, wenn auch unter größeren Krämpfen, ist mit Blick auf die AfD zu erwarten.