Ursprünglich als friedliches Zusammenkommen vorgesehen, mündete das Treffen in einen historischen Augenblick, als hunderte von DDR-Bürgern die Gelegenheit beim Schopf packten und die Grenze in Richtung des Westens überwanden. Das Paneuropäische Picknick markierte insofern wahrscheinlich den entscheidenden Anstoß für die Ereignisse, die in das große Weltskript der europäischen Geschichte die Freiheit und (Wieder-)Einheit der Deutschen inskribierten. Drei Jahrzehnte später kommt es darauf an, dass wir uns an diesen Moment europäischer Zeitgeschichte nicht nur erinnern, sondern ihn auch sozial kollektiv für die Zukunft unserer Gesellschaft zunächst einmal lebendig erhalten: vor allem für die junge Generation, die die Geschichte (des Eisernen Vorhangs und der deutschen Teilung) zwar aus Geschichtsbildern kennt, aber kaum mehr eine eigene Geschichte schreibt.
Die Rolle der Jugend in der Erinnerungskultur
Dass heute besonders bei Jugendlichen das Interesse für Geschichte wieder zunehmen muss, ausgerechnet in einer Welt, in der man nicht mehr weiß, welchen Forderungen des raschen und ständigen Wandels und ihres wachsenden Umfangs man also noch genügen kann, ist unerlässlich. Der Erinnerung an das Paneuropäische Picknick kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als sie der Jugend ein Anliegen der Gegenwart unmittelbar verständlich macht und die Erkenntnis von Freiheit, Demokratie und Zivilcourage in sich aufnimmt, Werte, die man nur wertschätzen kann, wenn man ihre Ursprünge kennt und über die Bedingungen ihres Erwerbs im Bilde ist. Das heißt aber auch die Anerkennung dafür, dass Geschichte nicht nur in den Großereignissen und in den politischen Sammelentscheidungen aufgeht, sondern auch in den kleinen Begebenheiten, in den individuellen Bekenntnissen über Zivilcourage und Mut, also in der Standhaftigkeit im kleineren Maß und in der Kraft von Einzelnen.
Auch kann die Geschichte des Paneuropäischen Picknicks in vielerlei Hinsicht als Lerngegenstand sinnvoll sein. Sie vermittelt, dass gesellschaftlicher Wandel möglich wird, wenn Menschen den Mut haben, für ihre Ideale einzustehen. Eine Mahnung, die insbesondere heute, in Zeiten, in denen demokratische Werte in verschiedenen Teilen der Welt in Frage gestellt werden, ein Lehrstoff mit pointierter Aktualität ist.
Indem ferner die Geschichte, die sich um das Paneuropäische Picknick rankt, studiert wird, erschließen sich parallel zur Vergangenheit auch einige Bezüge zur gegenwärtigen Situation besser. Was Migration anbetrifft oder die Themen ’Grenzen’ und ’Untergang der Freiheit’ wird die Jugend, wenn sie die Paneuropäische Picknick-Geschichte verarbeitet, ein besseres Verständnis für die Wichtigkeit dieser Themen gewinnen und solche Fragen, wie sie heute aktuell zu diskutieren sind, unter einer veränderten Perspektive sehen.
Informationsbeschaffung im Zeitalter der Digitalisierung
Innerhalb der modernen, digital vernetzten Welt stellen Online-Plattformen und soziale Medien essenzielle Instrumente dar, um historische Ereignisse einem breiten Publikum zugänglich zu machen und innovative Ansprachen der jüngeren Generation zu ermöglichen, so auch um die Geschichte des Paneuropäischen Picknicks einzuordnen. Hierbei bieten Webseiten, die eine Vielzahl von Quellen wie historische Dokumente, Fotografien und Videoausschnitte zum Paneuropäischen Picknick aufbereitet haben, die Möglichkeit, Geschichte interaktiv zu erforschen und durch multimediale und komplementäre interaktive Karten sowie virtuelle Rundgänge auch das Ausmaß der Ereignisse von 1989 an konkreten Beispielen zu verdeutlichen und somit zu visualisieren.
Die Plattformen Instagram, TikTok und Twitter (oder X) eignen sich hervorragend dazu, die Begeisterung junger Menschen zu wecken und sie zu einer Teilnahme an Diskussionsrunden zu ermutigen, so durch Hashtag-Kampagnen und virale Videos. Ein immersives Lernerlebnis kann durch Virtual Reality geschaffen werden, indem sie es den Nutzer/-innen gestattet, die historischen Orte des Paneuropäischen Picknicks virtuell zu besuchen und so die Ereignisse in erster Linie direkt vor Ort zu erleben.
Schulworkshops
Workshops in Schulen stellen eine außerordentlich wirksame Möglichkeit dar, um Schüler/-innen unmittelbar anzusprechen und sie für das Thema Geschichte zu interessieren. Sie sollten interaktiv und praxisorientiert gestaltet sein. Denkbar wäre etwa, dass die Schüler/-innen von Grund auf lernen, wie sich historisches Material kritisch erschließen und einordnen lässt, wobei das Verständnis dafür gesteigert werden soll, dass die Partitur, die das Paneuropäische Picknick bis in die Einzelheiten hinein begleitet hat, nur im Zusammenhang mit den Konflikten des Kalten Krieges verstanden werden kann.
Ein wichtiges Feld ist, sich mit Personen auszutauschen, die das Paneuropäische Picknick erlebt haben. Niemand begreift das Picknick und die historischen Zeitumstände, deren Ende es befördert hat, besser als jener, der die Geschichte dieses Ereignisses kennt und von dem man aus dieser Geschichte hört, das heißt der sie lebendig macht. Das Marginale und Subjektive und Einzelne verleiht dieser Geschichte seinen Sinn.
Erleben als ein ’Soproner’
Als Student, der ursprünglich aus Sopron stammt, kann ich mich auf mannigfache Art und Weise mit dem Paneuropäischen Picknick identifizieren. Ich bin bei den alljährlichen Gedenkfeierlichkeiten in Sopron und Umgebung anwesend, auf denen in der Regel Vorträge gehalten und Ausstellungen sowie (Dokumentar-)Filme gezeigt werden. Meiner Meinung nach verleiht ein Besuch des Denkmals und der Gedenkstätte an der österreichisch-ungarischen Grenze der Geschichte in besonderem Maße eine persönliche und direkte Dimension.
Das Fazit, die Zusammenfassung
Ein lebendiges Beispiel dafür, wie ein einzelner Akt der Zivilcourage eine Kettenreaktion auslösen und Geschichte schreiben kann, ist das Paneuropäische Picknick. Die Bedeutung von Demokratie und Menschenrechten kann in der Schule durch dieses Ereignis vermittelt werden. Schüler/-innen aus beiden Ländern werden sich bewusst, dass es für jeden Einzelnen möglich ist, einen Beitrag zur Gestaltung einer besseren Gesellschaft zu leisten, und dass Mut und Entschlossenheit für den Einsatz für seine Überzeugungen unverzichtbar sind.
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Der obige Aufsatz wurde mit dem zweiten Platz des Essaywettbewerbs des Deutsch-Ungarischen Jugendwerks anlässlich des 35-jährigen Jubiläums des Paneuropäischen Picknicks ausgezeichnet. Die Preise wurden am 19. August 2024 in Sopron (Ödenburg) im Rahmen der jährlichen Sommerakademie des Jugendwerks von Dr. Elisabeth Knab, Vorsitzende des Deutsch-Ungarischen Jugendwerks, übergeben. An der Zeremonie nahmen auch Dr. Tamás Sulyok, Präsident der Republik Ungarn, und Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, teil und gratulierten den Gewinnern.