Am 24. Januar postete Jan-Eric Peters auf Facebook: „Social Media tut dem Journalismus einfach nicht gut, alles in allem”.
Dementsprechend hagelte es Fragen und Kommentare auf den kurzen Post, und am 25. erklärte er sich in einem voluminösen „Nachtrag”: Insbesondere Twitter sei „eine Selbstentzauberungs-Plattform des Journalismus”, stand da. Und weiter: „Twitter verführt dazu, zugespitzt zu jedem Thema seinen Senf dazuzugeben, sich in Meinungsschlachten zu verwickeln. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit von Journalisten und Medien. Weil es Voreingenommenheit offenbart, auch wenn es als Transparenz verklärt wird. Nutzern suggeriert es jedenfalls Parteilichkeit (die es nicht selten auch ist). Dabei sind Unabhängigkeit, Fairness und das Bemühen um Objektivität – ja, so altmodisch bin ich – Voraussetzung für Journalismus.”
Peters ist mit dieser Einsicht weder der Einzige noch der Erste. Schon vor zwei Jahren schrieb Ralf Schuler, der einflussreiche Leiter des Parlamentsbüros der Bild-Zeitung, ein Buch mit dem Titel: „Lasst uns Populisten sein”. In einem Vortrag vor Studenten des Mathias Corvinus Collegium im November 2020 vertrat er den Standpunkt, der Journalismus müsse wieder stärker die reale Welt abbilden, in der die Leser leben, und nicht irgendwelche Weltsichten und „Haltungen” verbreiten, die in der Gesellschaft nicht verankert sind. Sonst, so meinte er, verlieren die Medien ihre Glaubwürdigkeit. Das sei seine ernste Gefahr für die Demokratie selbst.
Nun sind sowohl Schuler selbst als auch die Neue Zürcher Zeitung, die Peters neuerdings als Geschäftsfrührer vertritt, eher bürgerlich-konservativ orientiert. Aber auch bei der traditionell liberalen Wochenzeitung „Die Zeit” erklingen neue Töne. Zum 75. Geburtstag seines Blattes warnte Chefredakteur Giovanni Di Lorenzo am 24. Februar vor den Gefahren eines linken Gesinnungsjournalismus: Bei der einst renommierten New York Times etwa, so schrieb er, fürchteten sich mittlerweile viele Redakteure, zu schreiben, was sie denken. Di Lorenzo: „Wie soll man einem Medium vertrauen, dessen eigene Angestellte glauben, dass man gewisse Sichtweisen lieber nicht äußert?”
Bei der ebenfalls liberalen „Welt” schrieb Chefredakteur Ulf Poschart derweil einen Rundbrief an alle Mitarbeiter, in dem er einen „modernen journalistischen Realismus” als Ideal ausrief: „Schreiben, was ist”. Diese Maxime sei „in vielen Medien etwas heimatlos geworden, weil in Reportagen, Interviews und Features zu oft geschrieben wird, wie es sein soll und nicht wie es ist”. Seinen Journalisten empfahl er: „Mehr recherchieren, mehr reportieren, mehr analysieren”.
Aber die entscheidende Frage wird bei all dem gar nicht gestellt: Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass wir zu etwas „zurückkehren” wollen, was von jeher unser elementarstes Selbstverständnis als Journalisten hätte sein müssen? Das, was hier als neues, altes Ideal angestrebt wird, ist nichts anderes als das, was ich und die Journalisten meiner Generation in den deutschen Medien Ende der 80er Jahre noch als Volontäre lernten. Wie ist man je davon abgekommen und warum?
In den Worten der hier zitierten Chefredakteure sind es vor allem die anderen Medien, nicht ihre eigenen, die zu Gesinnungsverbreitern verkommen sind, und da ist etwas dran. Aber zwischen den Zeilen klingt doch durch, dass sich auch bei Ihnen etwas ändern muss. Hat man da in den letzten Jahren etwas schleifen lassen?
Allein die Tatsache, dass sich die schweizerische NZZ auf dem deutschen Markt etablieren konnte als neues Leitmedium eines Objektivität anstrebenden Journalismus sagt etwa aus über die Versäumnisse der führenden deutschen Medien in den letzten Jahren. Da ist offenbar eine Marktlücke entstanden – an der Stelle, wo normaler Journalismus gewünscht ist.
Eine gute Nachricht ist es immerhin: Deutschlands Medien (zumindest einige von ihnen) wollen sich wieder stärker auf das besinnen, was klassischen Journalismus ausmacht.
Der Autor ist Journalist, Korrespondent für deutschsprachige Zeitungen und Leiter der MCC Media School.