Allgemein gehen die Springer-Medien die ungarische Regierung oft hart an, und umgekehrt lässt die ungarische Regierung kein gutes Haar an der Ungarn-Berichterstattung deutscher Medien. Aber in diesem Gespräch herrschte volle Harmonie. 

Magyarul

Unter dem Titel „Wem gehören die Daten?” ging es um Macht und Einfluss der Tech-Giganten Google, Twitter und Facebook. Ministerin Varga vollbrachte das Kunststück, sich als Vorkämpferin für Rechtsstaatlichkeit in diesem Politikfeld zu präsentieren, und dafür von Döpfner wohlwollende Zustimmung zu bekommen – obwohl sie in den deutschen Medien oft attackiert wird als jemand, der rechtsstaatliche Prinzipien missachtet.

Schon zu Beginn äußtere sich Moderator Christoph Keese, ebenfalls ein prominenter Vertreter des Springer-Verlages, „beeindruckt” von Vargas Initiative, in der ungarischen Regierung einen „Ausschuss für digitale Freiheit” ins Leben zu rufen – Keese zufolge eine der ersten solche Initiativen auf Regierungsebene in Europa.

Varga skizzierte, worum es ging: Ihrer Meinung nach wird die demokratische Gesellschaft von Regeln zusammengehalten, die auf Gesetzen oder internationalen Vereinbarungen beruhen. Ihr zufolge ist die große Frage, ob sich die großen Tech-Formen diesen Regeln unterwerfen wollen, müssen,  oder überhaupt strukturell dazu in der Lage sind.  Insofern habe man in Ungarn eine Art „Landkarte” der juristschen Probleme mit diesen Kozernen erarbeitet, und wolle nun gesetzgeberisch tätig werden.

Döpfner stieß ins selbe Horn: Die monopolistische Marktmacht der Techfirmen gefährde das kapitalistische Grundmodell und die Demokratie selbst.

Er zählte die gängigen Lösungsvorsachläge auf, etwa Google und Facebook zu zerschlagen oder stärker zu besteuern. Ihm zufolge ist aber vor allem eines nötig: Der Gesetzgeber muss ihnen verbieten, die Daten ihrer Nutzer zu speichern. Denn dann können sie keine Algorithmen mehr ausarbeiten, um gezielte Produktwerbung zu plazieren, oder den Nutzern nur solche Nachrichten vorzusetzen, die ihren Neigungen (und eventuell Vorurteilen) entsprechen.

Am Ende waren sich beide einig, dass man „gemeinsam” (Varga) Druck auf die EU-Kommission ausüben müsse, damit diese gesetzgeberisch tätig werde. Döpfner hatte in diesem Sinne zuvor einen „offenen Brief” an Kommissonspräsidentin Ursula von der Leyen geschrieben, und sie zum Handeln aufgefordert. Die Antwort war ein, wie Keese formulierte, „lauwarmer” Antwortbrief, in dem stand, man habe alles unter Kontrolle. Zur konkreten Frage, die Speicherung privater Nutzerdaten zu verbieten, schieb von der Leyen aber nur, dies müsse „transparenter” werden.

Varga und Döpfner waren sich einig, dass es eine Gefehr für Rechtstaat, Meinungsfreiheit und Demokratie bedeutet, wenn Twitter, Facebook und Co. einen gewählten Präsidenten – etwa den damaligen US-Präsidenten Donald Trump - einfach „ausschalten”, also dessen account ohne Gerichtsurteil löschen können. Und dass die Tech-Riesen die Medienvielfalt gefährden, indem sie das Geschäftsmodell der herkömmlichen Medien zerstören. Döpfner unterstrich, dass Google und Facebook in ihrem Konflikt mit der australischen Regierung ihr wahres Gesicht gezeigt hätten: Auf die Aufforderung der Regierung, den traditionellen Medien einen fairen Preis für die Inhalte zu zahlen, von deren digitaler Verbreitung Google und Facebook enorm profitieren, reagierten die „sozialen” Medienfirmen, indem sie vorübergehend alle australischen Medien von ihren Plattformen verbannten.         

Jenseits der inhaltlichen Debatte zeichnete sich da eine erstaunliche Interessenkonvergenz zwischen den deutschen Medien und der ungarischen Regierung ab, die von ihnen so oft kritrisiert wird. Ungarns Regierung ist in Sorge, dass Google, Twitter und Facebook die Wahlen im nächsten Jahr zugunsten der Opposition beeinflussen könnten. Und grundsätzlicher, dass sie über eine gewaltige politische Macht verfügen ohne jede demokratische Kontrolle. Dass ist auch Springers Sorge, aber vor allem sieht man dort wohl die materiellen Interessen des Medienhauses gefährdet. Die Tech-Giganten sind der Grund, warum die Medienbranche wirtschaftlich in einer epochalen Krise steckt.

Das hat es so noch nicht gegeben: Die Mainstream-Medien und Ungarns Regierung eint ein gemeinsames Interesse, dass sie dazu veranlasst, im Einklang Druck auszuüben auf die EU.

Gemeinsames Interesse kann auch Rücksichtnahme auf einander bedeuten.

Der Autor ist Journalist, Korrespondent für deutschsprachige Zeitungen und Leiter der MCC Media School.